Mein Tag der Deutschen Einheit war schon am Samstag. Ich fuhr im Regionalzug von Frankfurt (Oder) nach Berlin. Neben mir saß Volkmar. Er war um die 70, trug Hörgerät und Hertha-Kappe und interessierte sich für mein digitales Zugticket in der Bahn-App. „Super Sache das, aber brauche ich nicht. Mein Ticket ist in der Dauerkarte mit drin!“
Bei ihm sei immer Fußball, erklärte Volkmar, jeden Samstag fahre er zum Spiel. Eine Woche Hertha, eine Woche Union, dann wieder Hertha. „Moment mal“, unterbrach ich, „sind das nicht beides Berliner Clubs?“
„Ganz genau! Sie wissen doch, wann die Mauer gebaut wurde?“
„Ähm… In den 60ern?“
„1961. Da konnte ich auf einmal nicht mehr zu Hertha. Also bin ich zu Union gegangen. Und seit dem Mauerfall gehe ich eben zu beiden.“
Volkmar zückte sein Portemonnaie und zeigte mir: Hertha-Mitgliedskarte, Union-Mitgliedskarte. Hertha-Dauerkarte, Union-Dauerkarte. Die deutsche Einheit des Fußballs.
Wie er den Mauerfall erlebt habe, wollte ich wissen. „Ich konnte es erst nicht glauben.“ Er lachte. „Meinen Nichten und Neffen hatte ich immer gesagt: „Die Wiedervereinigung kommt! Aber das erlebe ich nicht mehr.“ Und dann das! Wir sind erstmal los und haben uns unsere 100 DM geholt, hehe. Und dann, Silvester, sind wir nach Berlin. Zum Brandenburger Tor, als der – wie hieß er noch? – als der Hasselhoff gesungen hat. Das war schöner als meine Hochzeit, schöner als alles – das war das schönste, was ich je erlebt habe.“
Hertha hat übrigens gewonnen am Samstag.
Eva sagt:
„Die Jugend sollte auf Reisen gehen. Denn die Zeit geht so schnell rum, zack! Meine Kindheit fühlt sich an, als wär’ sie erst gestern gewesen. Dabei kann ich mich an das, was wirklich gestern war, gar nicht mehr erinnern. Wegen der Demenz. Die kommt, so langsam. Ich merke das vor allem bei Namen – bin schon froh, dass mir der Hasselhoff gerade eingefallen ist! Die Jugend sollte auf Reisen gehen, jetzt, wo das geht. Als die Mauer weg war, sind wir nach Vietnam, China, Irland. Von Teneriffa und Mallorca brauche ich gar nicht anzufangen. Die Jugend sollte auf Reisen gehen. Ich kann China besonders empfehlen.“
27. Oktober 2016 — 23:30